Sonntag, 28. Oktober 2012

Whiteout


Oha, das war dann wohl einer der genialsten Läufe, die mir je unter die Sohlen gekommen sind. Eigentlich war das alles mehr als Spaß und als Erlebnislauf gedacht, aber wie es bei mir wohl immer so ist, wurde daraus schnell ein Kampf um jeden Zentimeter.

Wir sind also das Wochenende in einer Ansammlung von älteren Häusern, die sich "Janov nad Nisou" nennt, irgendwo im Isergebirge. Einige meiner Laufgruppe vom TSV kommen schon seit 1975 hierher, da wollte ich mir das auch mal anschauen, zumal mir eine besonders schwere Strecke versprochen wurde.


Hergekommen sind wir mit einem Teamkollegen, dem Bernd. Auf Sommerreifen (das wird noch eine Rolle spielen) und nach einer langen Irrfahrt durch Sachsen und Tschechien am Freitagabend. Da war noch alles gut. Ich selbst war mir zwar durchaus im Bilde über die Ankündigung des Wetterberichts, schaffte es aber erfolgreich, diese wegzutolerieren, was am Samstagmorgen ein böses Erwachen gab - in diesem Fall ein weißes. Na herrlich, eine an sich schon gefährliche Strecke mit steilen Bergabpassagen und dazu bekomme ich noch dieses weiße Mistzeug... Gabs da nicht letzten Winter schon genug von?

Außerdem gelangten wir wie durch ein Wunder an eine deutsche Ausschreibung, an der mich am meisten der Teil "Tschechische Meisterschaften im Berglauf" beunruhigte. Warum weiß ich davon nichts? Nebenbei, ich würde euch auch gerne den Namen des Laufes nennen, aber ich weiß ihn nicht... Zumindest scheint die Organisation recht ordentlich zu sein, und so funktioniert die Meldung problemlos und auch die Startgebühren sind - wie fast alles hier, besonders das gute Essen - fast schon lächerlich billig. Elli wandert die 11-km-Strecke und ich bin der Einzige, der sturr darauf beharrt, hier die 19 zu laufen. Man wird sich ja nicht von ein bissel Wind, Schneesturm und gerade mal einstelligen Minusgraden beeindrucken lassen!

So ging ich den Tipps nach und erkundete beim Erwärmen die ersten Meter der Strecke. Die führten auch gleich eine Wiese hinab, und ich kam trotz wirklich langsamen Tempos mehrfach arg ins Schlingern. Na das kann ja was werden... Beim 11-km-Start ging erstaunlicherweise alles gut und es war toll anzusehen, wie jeder versucht hat, vor der Wiese weit vorne im Feld zu sein. Dann waren wir dran, und irgendwie war an der Stimmlage des Starters nicht zu erkennen, wann es denn eigentlich losgehen sollte. Ich hatte auch das Gefühl, dass die anderen leicht überrascht waren. Jedenfalls gab es jetzt erstmal als Vorgeschmack die erste gefährliche Stelle. Ich kam auch gut runter und kam kurz vorm Tal auf die Idee das Tempo vielleicht doch etwas zu erhöhen. Das Resultat kann man sich ja denken... Nach ca. 10 Metern auf einem Bein (9,8 in der B-Note) schaltete ich meinen Hybrid-Antrieb auf Erdanziehung mit engem Bodenkontakt um. Super, wenn das schon an der einzigen mir bekannten Stelle passiert, will ich gar nicht wissen, was mich noch erwartet. Ich hätte die Auslandskrankenversicherung gleich mit einstecken sollen. Und ein Testament wäre gut gewesen.

Nun ging es erstmal bergan und ich arbeitete mich etwas weiter nach vorne. Die Strecke war jetzt ganz gut zu laufen, stückweise glatt (Mathematikerwitz...), aber bergauf ganz in Ordnung, nur der Schnee wurde immer mehr. Dann gab es ein längeres Bergabstück auf Asphalt, wo ich unsere Wandergruppe samt Elli traf. Zum Glück verfehlte ich sie aber leicht, denn Steuern war dort nicht mehr wirklich möglich. Aber immerhin ist mein Fuß mit jedem Schritt ca. 10 cm weiter nach vorne gerutscht, das spart ja sicherlich auch Kräfte.

Nach ca. 8 km gab es an einer Stelle, wo einem der eisige Wind inkl. sehr harter Partikel mitten ins Gesicht blies. Hier ging es für uns 19er (wir waren mittlerweise nur noch zu zweit, wohl an Position 7 und 8) nach rechts. Und ins Nichts. Es war alles weiß. Ich schaute meinen Kollegen an. Er schaute mich an. Ich schaute wieder nach vorne. Immernoch weiß. Ich hatte eine Idee. Irgendwo müssen doch Fußabrücke der Anderen sein? Fehlanzeige. Wir waren an einem Skihang, und hier gab es wirklich keine Strecke. Alle Fußabdrücke wurden wohl vom Wind sofort verweht, aber richtig waren wir hier wohl (Ich fühlte mich in Betracht der Tatsache, dass ich letztes Wochenende über 20°C in Dresden hatte, sehr wohl am falschen Platz). Als ich die Tatsache akzeptiert hatte, dass wir dort runter müssen, drehte ich auch mal auf und stellte sehr schnell fest, dass ich nicht mehr bremsen konnte. Natürlich trat ich genau in diesem Moment irgendwie mit einem Fuß ins Leere und es hätte mich fast erneut geschmissen...

Nun ging es lange auf einer asphaltierten, glatten Straße gegen den eisigen Wind, der tschechische Kollege immer im Schlepptau. Na klar, Meisterschaften, ich weiß schon, was mir blüht. Aber nie war das so egal wie heute. Zumal der vorletzte Kilometer, der laut handgemalten Profil ca. 250 negative Höhenmeter sein Eigen nennt, noch eine Menge Spaß versprach.

Zirka fünf Kilometer vor dem Ziel trete ich plötzlich wieder ins Nichts und finde mich in einer Schneewehe steckend wieder. Kniehub! Mittlerweile bin ich nur noch am Lachen, und nach jeder Kurve erwarte ich die nächste Teufelei. Schön war dann auch die Stelle, an der die Straße immer steiler und vereister wurde und ich irgendwann in der Mitte feststeckte.

Zumindest konnten wir noch zwei andere Läufer überholen und mussten nun "nur" noch heil runter nach Janov kommen. Beim Einstieg in den Schlussabstieg ging es erstmal über mehrere Absätze. Der Hohlweg am Rennsteig ist dagegen Kindergeburtstag. Der Streckenposten wollte mir wohl irgendwas sagen, wählte aber unglücklicherweise die falsche Sprache. Als ich merkte, dass es wohl sowas war, wie "Du solltest lieber rechts laufen!" war ich auch schon wieder im Fallen. Den Rest brachte ich dann sehr vorsichtig hinter mich. Geröll unter Blättern unter Schneematsch führt auch bei mir irgendwann zum sensory overload. Für Deutsche Verhältnisse wäre das alles hier wohl "Unverantwortlich!", aber ich habe nicht mitbekommen, dass es ernsthafte Verletzungen gegeben hätte. Gut, meine gute TESS(T)-Klamotte hat jetzt ein Loch, aber man muss Abstriche machen, wie der Arzt sagt...

Als Fünfter und bester/schlechtester Deutscher kam ich also irgendwann ins Ziel, wobei die Zeit, die ich für die 19 km gebraucht habe, jenseits von gut und böse ist ;-) Trotz der uralten Turnhalle ("Hier sind die Turnhallen alt, dafür sind wahnsinnig viele Leute drin. Bei uns ist das umgekehrt!") gab es sogar eine Live-Ergebnisliste auf mehreren Monitoren: So gehört sich das! (Ich frage mich sowieso, warum sowas nicht schon lange Gang und Gäbe ist, kann doch nicht so schwer sein? Ich meine, hey, wenn die Tschechen das können...) Kurz nach mir kamen auch das Wanderelli zurück. Anschließend gab es noch einige Wanderungen, sehr leckeres Essen und einen schönen Abend mit den anderen 19 Dresdenern. Und gut nach Hause sind wir trotz Sommerreifen auch gekommen. Fazit: Ich will da auf jeden Fall wieder hin!

Fischi





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